Der Weg nach Okinawa
In Okinawa steht das Shuri-Te unter dem Einfluss der nördlichen Schule, während das Naha-Te der südlichen Schule folgt.
Auch zur näheren Charakterisierung der Kampfkunstschüler bediente man sich in Okinawa und später auch in Japan der chinesischen Bezeichnung.
So wurde jener Schüler als ein "äußerer Schüler" bezeichnet, der als offizieller Nachfolger den Platz seines Meisters übernahm und vor allem die technischen und organisatorischen Aspekte eines bestimmten Stils nach außen vertrat.
Ein "innerer Schüler" bewahrte zwar die philosophischen und religiösen Aspekte seines Stils, blieb aber gegen außen stets im Hintergrund.
Okinawa, Hauptinsel der Ryukyu-Inselkette, liegt rund 600 Km südlich von Japan.
Auf dem rege benutzten Handelsweg erreichte auch ein chinesisches Kampfsystem, das Chugoku-Kempo, Okinawa und vermischte sich dort mit dem heimischen waffenlosen Kampfsystem des Tode ("To" bezeichnet in der Sprache Okinawas die chinesische Tang-Dynastie, "De" ist das phonetische Äquivalent von "Te" und bedeutet in der Sprache Chinas und Okinawas "Technik", im Japanischen "Hand").
Wegen ihrer strategisch günstigen Lage erfüllte die kleine Insel seit der Tang-Dynastie eine wichtige Brückenfunktion zwischen dem chinesischen Festland und den japanischen Inseln.
Ob bereits vor den Handelskontakten mit China die altindischen Techniken des Kalaripayt über den Seeweg direkt von Indien nach Okinawa gelangt waren und die Entwicklung des Te beeinflusst hatten, ist bis heute ungeklärt.
Die Kenntnisse von einem waffenlosen Kampfsystem erlangten in Okinawa bald eine starke Bedeutung, da der Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der alten Sho-Dynastie bereits im späten 15. Jahrhundert sämtliche Waffen abgenommen wurden.
Okinawa blieb zudem, bedingt durch seine Lage, in seiner Geschichte ein beständiger Spielball in den Händen seiner übermächtigen Nachbarn China und Japan.
So setzte 1609 die Invasion durch den japanischen Clan der Satsuma unter Shimazu den endgültigen Schlusspunkt unter die Unabhängigkeit Okinawas.
Die neuen Herren sicherten sich ihre Machtposition über die einheimische Bevölkerung mit einer Reihe von Verordnungen, zu denen ein generelles Waffenverbot zählte.
Trotzdem beugten sich die Bewohner Okinawas nur widerwillig den Machthabern, und gewaltsame Zwischenfälle scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein.
Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerung die waffenlose Kampfkunst unter strengster Geheimhaltung bis zur Perfektion weiterentwickelte.
Auch das Kobudo, ein System, das den Gebrauch erschiedenster landwirtschaftlicher Geräte einbezog und vor allem von Bauern und Fischern praktiziert wurde, entstand in dieser Epoche.
Aus dem chinesischen Chugoku-Kempo und dem Tode entwickelte sich allmählich ein Kampfstil, der schlicht Te (Technik) oder Okinawa-Te (Technik von Okinawa) genannt wurde.
In diesem Stil waren alle philosophischen und gesundheitlichen Aspekte, wie sie in den chinesischen Stilen enthalten waren, eliminiert. Einziges Ziel bildete die größtmögliche, d. h. tödliche Effizienz der Techniken.
Deshalb vermied man sämtliche Techniken, die ein zu hohes Risiko bargen, wie etwa Fußschläge im oberen Bereich.
Im Te entwickelten sich im Geheimen mehrere regionale Schulen, deren Meister bereits als Vorväter der heutigen Karatestile bezeichnet werden können.
In Anlehnung an ihren jeweiligen Entstehungsort wurden diese Stile Shuri-Te ( die Hand von Shuri ), Naha-Te ( die Hand von Naha ) und Tomari-Te ( die Hand von Tomari ) genannt.
Zusammenfassend wurden sie als Tode oder im japanischen als Karate ( chinesische Hand ) bezeichnet.