Ein sehr bedeutender Trainingsaufenthalt von Peter Geedicke in China
Wieder war es soweit. Der Jahresurlaub steht an und wohin verschlägt es mich? Nicht nach Malle oder an den Strand irgendeiner Südseeinsel! Richtig, für mich steht Dengfeng im Herzen Chinas auf dem Programm. Wiedermal ein paar Wochen in die Knochenmühle. Sollen sich die anderen Ausruhen, ich trainiere KungFu!
Dieses Mal habe ich Wert auf eine langsame Anreise gelegt.
Seit langem mal wieder Land und Leute sehen. Alte Freunde besuchen und sich gemütlich auf den Trainingsalltag einstimmen. In den letzten Jahren war es im Grunde nur ein Einsteigen in den Flieger in Berlin, Frankfurt oder Hamburg und nach ein paar Stunden Flugzeit stand ich bereits vor dem ersten Training Glückwunsch! Culture Clash verschont auch mich nicht.
Wie gesagt, diesmal alles ruhiger. Zuerst zwei Tage in Shanghai ein wenig kosmopolitischen Flair aufnehmen und gemütlich ein Getränk oder zwei im Hyatt Hotel am Bund in der Dämmerung einnehmen mit einen fantastischen Blick auf die größten Wolkenkratzer Asiens. Dann spontan mit Zug und Bus auf nach Dengfeng, Shifu wartet.
Ach wie hab ich es vermisst, nach zwei Jahren wieder hier D e n g f e n g. Hier ist China noch ansatzweise authentisch. Ich will nicht sagen schön, sauber und verklärt romantisch, nein!
Es ist irgendwie so wie man es in Erinnerung hatte. Ein bisschen dreckig, ein bisschen ländlich und doch vertraut. Hier brauch ich (noch nicht) mein Handy zücken um die lecker Nudelsuppe bei der Oma an der Ecke mit dem ranzigen Wägelchen über QR-Code per WeChat-App zu bezahlen.
Hier hat Bargeld noch einen Stellenwert. Sehr schön! Auf dem Weg zu meiner Unterkunft noch schnell am KungFu-Trainingszubehör-Laden angehalten um mir ein paar Schuhe zu kaufen und schon wird man mit überraschenden Rufen "Lao Tong" (Alter Freund) vom Inhaber begrüßt und mit einladender Geste zum Essen eingeladen zwei Stunden später, etlichen chinesischer Leckereine und dem neusten Klatsch und Tratsch stand ich endlich vor meiner Herberge.
Schon komisch, nach mittlerweile 10 Jahren komm ich wiedermal zum Xiao Long Wu Yuan zurück. Nur das ich nicht hier bin wie damals, um irgendwie mal KungFu zu lernen, sondern längst meinen Meister gefunden habe und nur die Räumlichkeiten dieser riesigen Trainingshochburg nutzen werde. Aber nichtsdestotrotz werden mich die ca. 6.000 KungFu Schüler jeden Tag begleiten.
Es ist damals wie heute noch faszinierend zu beobachten, wie so viele versuchen durch oder mit KungFu ihren Lebensweg zu beschreiten, mit der Hoffnung dadurch vielleicht mal ein Jet Li oder Jackie Chan zu werden.
Ok, genug! Back to Business Tag eins nach Ankunft am Vormittag: Shifu hatte mich bereits am Vorabend begrüßt und mich mit den Instruktionen versorgt wie der nächste Tag aussehen wird. Nach dem Frühstück geht es auf in den nahegelegenen Park um dort bei gemächlichen 38 Grad und leicht bewölktem Himmel die Trainingseinheiten zu absolvieren. Aufwärmen, Streching (noch geht der Spagat spielend von der Hand) und die klassischen Grundübungen sind eine Freude.
Mein T-Shirt ist mal so nass, als ob ich damit schwimmen war - herrlich Leistungssport im chinesischen Hochsommer, toll! Aber auch der zweite Teil mit den liebgewonnen Formen geht locker von der Hand. Shifu scheint zufrieden mit meiner Leistung, da er sich meine Darbietungen ohne Korrekturanstalten anschaut und lächelnd zum Nächsten schreitet.
Nach der ersten Session geht es auf zum Mittag. Eine Großkantine in einem übervölkerten KungFu Internat. Umzingelt von tausenden hungrigen pubertierenden Elementen zu sein ist ein Traum!
Nur schnell essen und dann nix wie weg! Notiz für mich, möglichst viele Malzeiten außerhalb (in normalen Restaurants) einnehmen. Kantine ist zwar schön und gut, aber jeden Tag drei Mal am Tag das Gleiche nein danke! Es gibt so viele Köstlichkeiten in der chinesischen Küche und gerade wenn man Urlaub hat darf man sich auch mal was gönnen, trotz asketischer Lebensweise.
Wäre auch zu Schade wenn das alles ungekostet bliebe: HotPot, Sichuan Style, Lanzhou Lamian, Kao Rou, Qian Bing, Hui Mian, etc .
Nach einer noch langen aber perspektivisch immer kürzer werdenden Mittagspause geht es weiter mit dem Nachmittagtraining. Trainingsort, je nach Wetter entweder wieder im Park oder - dank Regen oder drückender Hitze - die Trainingsräume der Xiao Long Schule. Geschützt vor fieser Sonneneinstrahlung oder Regen können wir hier im Prinzip den bereits genannten Trainingsablauf genießen. Unterschied je nach der individuellen Spezialisierung einzelner Formen und Trainingsschwerpunkte ging auch diese Einheit nicht ohne das plakative zweimalige Shirt-Auswringen vorüber.
Im Prinzip kann ich hier aufhören zu schreiben, da die folgenden Tage und Wochen eine stetige Wiederholung des ersten Tages sind. Alles in allem 5 bis 7 Stunden Training am Tag, je nach eigenem Gusto und zwar nach folgendem Ablauf
Frühstück Training Mittagspause Training Abendbrot ggf. Training Schlafen Frühstück -
Ich finde es großartig! Endlich Zeit ein Buch nach dem Anderen zu lesen, mit alten und neuen Freunden abhängen, Essen gehen, in Tempel und Kultur eintauchen und am wichtigsten: wenig Social-Media-Stress. Da dank 6 Stunden Zeitverschiebung und chinesischer Internetzensur ich nicht immer erreichbar bin und so getrost das Handy im Zimmer liegen lassen kann.
(Wäre natürlich anders, wenn ich mir eine chinesische SIM-Karte oder ein Vertragshandy hätte. Aber mit der schnöden Prepaid-Karte ist alles etwas restriktiver. Mir gefällt s! Und zur Not gibt es überall WLAN, oder Hot-Spot teilende Bevölkerung.)
Was die Routine leider mit sich bringt: man merkt (fast) gar nicht wie schnell der Moment der Abreise plötzlich an deine Tür klopft und dann wird dir panisch klar: "Aber aber, ich hab mich doch gerade an alles gewöhnt, ich will doch noch so viel lernen, es könnten doch noch viel mehr Kilos purzeln " Doch es ist wie immer, irgendwann geht s wieder Heim.
Ein letztes Abschiedsessen mit Shifu, seiner Familie, allen Schülern und Freunden und
zu aller Überraschung verlieh mir Shifu Shi De Cheng vor versammelter Mannschaft seine offizielle schriftliche Genehmigung auch im Ausland seinen Stil zu unterrichten - was für mich einem Ritterschlag gleichkommt und eine unbeschreibliche Ehre ist.
Die Abreise lässt sich eigentlich wie folgt beschreiben: zusammen mit meinem Pu Dao (einer Stabwaffe mit Säbelklinge, alles in allem ca. 1,90 Meter Länge, die ich eigentlich zurücklassen wollte weil zu unhandlich und echt kein einfaches Reisegepäck, entschied ich mich aus traningssentimentalen Gründen -schließlich haben wir wochenlang zusammen trainiert- es doch einfach so lange mit mir mitzunehmen bis es nicht mehr weitergeht und ich es einfach zurücklasse, oder es dem nächsten Bettler in die Hand drücke der würde Augen machen).
Es ging also nach Süden. Mein Rückflug erwartete mich in Hong Kong, doch davor war ein kurzer Zwischenstopp in Guangzhou (ehem. Kanton) nötig. Vielzulange wurde der Besuch von Freunden aufgeschoben um zusammen eine tropische Stadt zu genießen, noch mehr ausgefallenes Essen zu probieren, eine kleine Runde KTV, BBQ auf einem 60 stöckigen Hochhausdach, Nachtmärkte, einen traditionellen chinesischen Medizinmarkt besuchen und Kolonialbauten mit einem Starbucks Kaffee in der Hand bestaunen. Schön war s und ich komme wieder. Aber nun drängt die Zeit, ich muss das Land verlassen nach Hong Kong mein Visum läuft aus. Dort noch eine Übernachtung am Strand auf der Insel Lantau. In einem Beachhouse mit der Hoffnung die eine oder andere Welle zu erwischen, bevor ich am Abend wieder in den Flieger steige.